Die neueste Folge meiner Rhetorik-Kolumne aus „politik und kommunikation“:
Resch Rhetorik Review
Man spricht nur mit dem Herzen gut!
Wie oft werden wir Rhetorik-Coaches gefragt: Wie bitte kann ich NOCH überzeugender wirken? Die einfache Antwort: Wenn Du von dem, was Du zu sagen hast, auch selbst wirklich überzeugt bist. Ganz einfach. Schon damit haben manche meiner Klient*innen bisweilen ein Problem, weil sie mir dann sagen: „Ja, das ist aber Fraktionsdisziplin!“ Oder: „Das hat der Vorstand so beschlossen, dass muss ich jetzt mittragen. Aber eigentlich bin ich ganz anderer Meinung.“ Was nun?
Loyalität und die Disziplin gegenüber der Partei und dem Unternehmen sind wichtige Werte. Und das Leben ist immer auch ein Kompromiss. Aber die Kommunikation und erst recht die Medien sind nun mal recht kompromisslos. Mit der Position, die ich nicht vollends teile, jetzt also raus in die Nachrichten und in die Talkshows – damit das gelingt, müssen die Klient*innen schon mit allen Wassern gewaschene rhetorische Schlachtrösser sein.
Im Zweifel rate ich: Es sind ja nicht umsonst mehrere Menschen in einer Fraktion, mehrere Männer und Frauen in einem Unternehmensvorstand – dann lass doch denen den Vortritt, die zu 100 Prozent hinter der Position stehen, die es zu verteidigen gilt.
Denn eines gilt so ewig wie Ebbe und Flut: man spricht nur mit dem Herzen gut. Nur mit der Kraft der eigenen Überzeugung kann man auch andere überzeugen. Nur wer mit dem Herzen spricht, kann auch die Herzen der Zuhörer*innen erreichen – mit einer Rede, mit den Argumenten und – die schwierigste Übung – mit einem 20-Sekunden-Statement in den News. Das alles kann man lernen. Und die Erfolge lassen sich trefflich studieren.
Zum Beispiel an Nadine Schön und Serap Güler. Wir müssen für dieses Beispiel ganz an den Anfang des Jahres zurück. Damals gab es einen gewissen Helge Braun, der sich mit voller Kraft in das Rennen um den Vorsitz der CDU warf. Clevere Analyse: Dem Röttgen fehlt das Herz. Dem Merz die Frauen. Dann verbinde ich doch beides mal miteinander. Dass Helge Braun ein feiner Kerl mit großem Herzen ist, das hört aus jedem seiner geradezu zart und warm vorgetragenen Worte. Und für das Thema Frauen waren dann die beiden Damen Schön und Güler zuständig. Bekannt genug, um der Kandidatur von Helge Braun Gewicht zu geben. Jung genug, um es bei einem Scheitern später mit einem herzhaften „Schwamm drüber“ einfach nochmal neu versuchen zu können. So weit und so gut die Strategie. Dann gab es eine Pressekonferenz, in der beide Begleiterinnen dann über sich sprachen – über ihre politische Biografie und über ihre Ziele in einer CDU-Führung an der Seite von Helge Braun.
Legen wir die Statements der beiden doch einmal auf die rhetorische Waage. Serap Güler spricht von ihren Eltern, die als Gastarbeiter ins Land kamen. Von dem Vater, der Alleinverdiener war, bis die Mutter sich entschieden hat, zu Putzen, damit Geld in die Familienkasse kam. Über ihre eigene Ausbildung als Hotelkauffrau, in der sie für andere Betten gemacht und die Bäder geputzt hat. Und als sie dann zu dem Satz kommt: „Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn es am siebzehnten eines Monats heißt, das können wir uns diesen Monat nicht mehr leisten….“ dann wünscht man sich, dass Helge Braun nur ihretwegen CDU-Vorsitzender wird. Solche Persönlichkeiten wünscht man sich in der Politik. Wenn Nadine Schön dann über strukturelle Veränderungen, flexible Lösungen und mit der üblichen Distanz, mit der Politiker auch über Kassiererinnen und Taxifahrer sprechen, über „die Alleinerziehende“ spricht, dann ist der Geneigte Zuhörer schon wieder bei den Mails auf dem Handy. Selten saß rhetorischer Kopf so nah auf einer Bühne neben dem rhetorischem Herzen.
Wir bleiben bei der CDU und bei Friedrich Merz, letztlich dem Gewinner dieses CDU-internen Triells. Wie oft ist er angetreten? Dreimal? Das bestätigt ja immerhin, dass einer der billigsten Tipps aus den rhetorischen Taschenbuchratgebern schon mal so falsch nicht sein kann. Nämlich: Üben, üben, üben! Dummerweise hatte sich Friedrich Merz zum Üben halt immer gleich den CDU-Parteitag selbst ausgesucht. Was meines Erachtens aber viel wichtiger für das rhetorische Mindset ist: Der Tipp, sich frei zu machen vom unbedingten egozentrische „Wollen“. Und stattdessen das Publikum versuchen zu erreichen, zu fesseln, zu begeistern und zum dann gemeinsamen Ziel zu führen.
Bei seinen ersten beiden Versuchen hatte Friedrich Merz echte Gegner. Die längst vergessene AKK und der auch bald vergessene Armin Laschet. Und in diesem Kampf mit den Gegnern hat er sein gesamtes Ego in den Ring geworfen. Und traf damit meilenweit am Ziel vorbei. Seine Reden wirkten damals wie die berühmte Sparkassen-Werbung: Mein Haus! Mein Auto! Mein Schiff. Das will keiner hören. Gute Rhetorik ist niemals egozentriert.
Im dritten Versuch war der einzig ernstzunehmende Gegner für Friedrich Merz nur noch er selbst. Und er konnte sich ganz auf sein Publikum konzentrieren. Ich habe es nicht gezählt – aber gefühlt hatte Merz in seiner letzten Rede kiloweise weniger „Ich“-Fomulierungen verwendet. Er war nah beim Publikum. Und hat es erreicht. Er hat sogar gelächelt. So haben ihn wohl bislang nur seine Töchter gesehen. Merke: Man spricht und wirkt eben nur mit dem Herzen gut.
Friedrich Merz wird ja vorgeworfen, mit ihm kämen die 80er- und 90er-Jahre wieder zurück in die Politik. Das stimmt zumindest mal äußerlich. Maßanzüge und Manschettenknöpfe hat man schon lange nicht mehr am Rednerpult im Hohen Haus gesehen. Das gilt aber auch rhetorisch. Wieselflink argumentierend, mit Stichwortzetteln ausgestattet, andere Redner parierend, rhetorisch aus der Hüfte schießen, hier und da lächelnd einen schmerzvollen Treffer bei den Gegnern wahrnehmend und dann nochmal nachsetzen. Und dann ohne blutige Flecken auf dem Hemd zurück zum Platz – das hat man im Bundestag schon lange nicht mehr erlebt. Man stelle sich vor: Merz als Kanzler, Kubicki als Bundestagspräsident und Gregor Gysi als Oppositionsführer – das könnte eine rhetorische Masterclass für Netflix werden.
Das sind alles „alte“ Männer – wohl wahr. Das hat mit dem Geschlecht sicher nichts zu tun. Aber könnte es sein, dass gute Rhetorik reifen muss wie guter Wein? Vor allem aber braucht eine geschliffene Rhetorik neben der bereits erwähnten Haltung eine starke innere Unabhängigkeit. Man muss schon was riskieren können – und das dann auch aushalten. Denn der gelingenden Rhetorik steht immer die Goldwaage im Weg. Wer hier jeden seiner Gedanken draufschaufeln muss, bevor er zum gesprochenen Wort wird, der macht es vielleicht den Protokollanten im Bundestag einfacher, erweist der Demokratie aber keinen Dienst. Denn die braucht den Streit und die Kunst des gesprochenen Wortes. Ich baue hier auch ganz auf die oben erwähnte Serap Güler. Unter all den Jungen im Bundestag ist sie meine rhetorische Favoriton. Mal schauen, ich werde sie beobachten und hier wieder darüber schreiben.
Kommen wir zum Bundespräsidenten. Von dem wir rhetorisch in den ersten Jahren seiner Amtszeit so wenig erlebt haben, dass der Autor gerade überlegt, ob sein Name mit „a“ oder mit „e“ und dann mit „i“ oder „y“ geschrieben wird. Kurz nachgeschaut: er heißt Frank-Walter Steinmeier. Und sein größter sprachlicher Coup war es wohl, als Kanzlerkandidat Wahlplakat-gerecht „Frank“ zu heißen und als Präsident nun wieder gewichtig und mit dem Bindestrich-Vornamen aufzutreten. Und der vor allem SOLCHE REDEN HÄLT. – Pause – Die immer nur AM SCHLUSS BETONT WERDEN. – Pause – Bei denen die geneigten Zuhörer ÜBERHAUPT KEINE AHNUNG HABEN. – Pause – Was dem Frank-Walter denn nun WIRKLICH WICHTIG IST. – Pause – Und wenn das ganze dann FÜNFUNDVIERZIG MINUTEN DAUERT. – Pause – Dann wird das alles ganz schön anstrengend. Und vor allem wird rhetorisch kein Bundespräsident draus.
Nota bene: Alles im Leben ist Rhythmus. Das Ein- und das Ausatmen. Das Wachen und das Schlafen. Gelungene Architektur ist Rhythmus. Und eine gute Rede eben auch. Ein Rhythmus in der Struktur. Und vor allem auch ein Rhythmus in der Intonation. Ein guter Redner muss seine Rede durchleben, sie durchschreiten, mal mit forschem Schritt und mal tastend. Mal mit aller Vorsicht und mal mit Galopp. Mal Allegro mal „non troppo“. So entstehen Symphonien.
Natürlich kann das keiner von Haus aus. Das muss man lernen. Und als Bundespräsident erst recht. Die Leserinnen und Leser ahnen, dass ich von der rhetorischen Performance des amtierenden Bundespräsidenten enttäuscht war. Erst recht, nachdem er im vorvergangenen Jahr nicht selbst die Laudatio auf den Friedenspreisträger Amartya Sen halten konnte. Ein damals die Schlagzeilen beherrschendes Virus kam dazwischen. Und da entscheiden die veranstaltende Buchbranche, dass der herausragende Theater-Schauspieler Burghart Klaußner die Rede des Bundespräsidenten vortragen solle. Ich empfehle jedem, diese Rede zu you-tuben. Für den Redenschreiber des Präsidenten muss es der schönste Tag seines Lebens gewesen sein. Mit so viel Pathos hat er seine Reden noch nie gehört. Schauspieler geben sich ihren Rollen hin. Mit vollem Herzen. Was für eine Rede! Und stellen Sie sich daneben mal das Original mit ‚e-i’ vor.
Also, habemus Bundespräsident. Und es scheint das Merz‘sche Axiom der inneren Freiheit wieder einmal zur Anwendung zu kommen. In seiner zweiten Amtszeit scheint Steinmeier innerlich unabhängiger zu sein. Seine Rede auf die Demokratie wurde in den Medien nicht ohne Grund als die beste seiner Präsidentschaft bewertet. Da waren plötzlich Leidenschaft und so viel Herz wie nie zu spüren. Mehr davon, Herr Bundespräsident. Wir brauchen gerade jetzt einen wie Sie, der mit Worten zu gestalten weiß.
Es war wohl auch seit langem die erste politische Rede überhaupt, die sich nicht grundsätzlich mit diesem vermaledeiten Virus zu beschäftigen hatte. Vielleicht müssen wir mit unseren Politikerinnen und Politikern so nachsichtig sein wie mit manchen Schulzensuren unserer Söhne und Töchter. Da muss man einfach Corona-Abstriche machen. In dieser ewigen Monothematik ist es auch schwer, rhetorisch Akzente zu setzen. Gleichwohl man sich schon fragt, warum es inhaltlich und rhetorisch in dieser Krise so oft daneben ging. Ein Unternehmen, dass in einer globalen Krise so kommunizieren würde, wie es die Politik zum Thema Corona getan hat, würde wohl nicht mehr existieren. Das hätte den Shitstorm der öffentlichen Meinung wohl nicht überlebt. Es braucht in einer Krise a) Haltung, b) belastbare Klarheit und c) das tiefe Verständnis um die emotionalen Befindlichkeiten meiner Zielgruppe. Womit der Kreis dieser Rubrik sich langsam schließt und wir wieder bei Helge Braun wären. Der ja mal gesagt hat, wenn jeder ein Impfangebot erhalten habe, könnten die Maßnahmen fallen. Das ist – lange her. Und die Maßnahmen – waren noch lange da.
Das mag ja gut und liebevoll gemeint gewesen sein von Helge Braun. Da war aber wohl seine eigene Hoffnung stärker als jede rhetorische Notbremse. Solch ein Satz muss für Enttäuschung sorgen und wird früher oder später aufgerechnet. Gerade in einer Krise gilt: Rhetorisch immer auf Sicht fahren. Auch mal über Zweifel und offene Fragen sprechen. Und nicht nur in Schlagzeilen denken. Und bitte rein gar nichts versprechen, was man nicht halten kann. Meine Analyse: In dieser Krise ist die politische Klasse an die Erfahrungsgrenzen ihrer Rhetorik gelangt. Genau deswegen machen professionelle Unternehmenskommunikatoren regelmäßig Krisentrainings. Da geht es um Vertrauen. Und den direkten Weg ins Herz des Gegenüber. Sollten Politiker vielleicht auch mal in die Agenda aufnehmen: Kurse in Krisenrhetorik. Getrieben von der Hoffnung, mit der auch CEOs so etwas tun: Dass man auf die Anwendung des Erlernten bestenfalls nie wird zurückgreifen müssen.
Zum Schluss noch zwei „crispe Snacks“, wie der geübte Rhetoriker der Neuezeit zu kurzen Geschichten sagt, die schnell auf den Punkt kommen, Spaß machen und im besten Fall auch noch morgen weitererzählt werden können.
Es ist in der ARD ja beinahe schon eine Tradition, dass Interviews mit den Intendanten nicht zu den güldenen Aushängeschildern dieser journalistischen Gattung gehören. Das mag daran liegen, dass immer häufiger verdiente Journalisten zum Intendanten werden. Wohl weil das bei Friedrich Nowottny so wunderbar funktioniert hat. Aber spätestens mit Tom Buhrow gescheitert ist. Jedes Interview mit dem WDR-Boss trägt Zeugnis seiner Dünnhäutigkeit. Journalisten beherrschen halt nur eine Seite des Mikrofons. Und gehen – nach meiner Erfahrung – in ihren neuen Rollen zu oft in das Interview mit der Haltung: Na, das kann ich sowieso, schon tausendmal gemacht. Aber eben hinter dem Mikro. Neueste Perle auf der Kette der unrühmlichen ARD-Intendanteninterviews ist das Gespräch von Patricia Schlessinger mit dem Magazin Horizont. Auch sie war mal Journalistin. Und landet nun auf der für sie offenbar falschen Seite des Mikrofons.
Ein Exkurs: In meinen Coachings definieren wir die entscheidenden Themen, zu denen meine Klient*innen nachts um drei klar, überzeugend und präzise auf den Punkt sprechbereit müssen. Und zu dem entsprechenden Programm einer Intendantin gehört definitiv die Frage nach der Rechtfertigung für den öffentlich-rechtlichen Mega-Apparat. Und Frau Schlesinger antwortet – tatsächlich: „Wir stehen in einem Auftragsverhältnis. Wir können nicht einfach selbst entscheiden, eine Hörfunkwelle (…) zu schließen. Es geht immer auch um die Frage, welche Größe und welchen Stellenwert ein Land einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk beimisst“. Und sie spricht in der weiteren Antwort sogar noch von den Anfängen des Rundfunks nach dem Krieg. Was und wen will sie damit erreichen? Das ist alles in etwa so überzeugend, wie wenn ein Bankvorstand auf die Frage zu den Verwahrentgelten antwortet: „Das ist die doofe EZB.“ Und: „Mir fällt dazu auch nichts anderes ein.“ Rechtfertigung durch Systeme, die nunmal so sind, wie sie sind – das ist aus guten Gründen ein seit zweitausend Jahren NICHT überliefertes rhetorisches Stilmittel.
Was für wesentliche Geschichten hätte der öffentliche-rechtliche Rundfunk zu seiner Legitimation zu erzählen! Wenn er mit seinen Argumenten aus dem Kopf ins Herz rutschen würde. Journalisten in Managementpositionen der Sender: Hört diese Signale! Auf der anderen Seite des Mikrofons geht der Job nunmal anders!
Und noch ein Snack aus dem Morgenmagazin. Auf der ewigen Suche der Journalisten zu dem Spiel „Wer hat seit 48 Stunden nichts zu dem Thema Corona gesagt“ fiel die Entscheidung auf Amira Mohamed Ali, Chefin der Linken im Bundestag. Es ging mal wieder um Öffnungsstrategien. Und auf die Frage: „Sind Sie für oder gegen Lockerungen?“ antwortet sie: „Ich bin ganz klar dafür, dass sie Maßnahmen, die sinnvoll sind, erhalten bleiben.“ Das hat ungefähr die Qualität dessen, was Journalisten seit zwei Jahren täglich hören, wenn sie ihre Straßenumfagen machen, die in den Redaktionen immer noch „Vox Pop“ genannt werden.
Dafür hätte Frau Mohamad Ali nun wirklich nicht den frühen Wecker fürs Morgenmagazin stellen müssen. Wenn der Kopf sagt: Mensch, ich brauche rasch eine Meinung. Und das Herz: Weiterschlafen wäre schön. Dann ist der gute Rat: Dem Morgenmagazin auch mal absagen. Die politische Meinung erst einmal finden, dann durchs eigene Gewissen und schließlich durchs eigene Herz jagen. Und wenn man dann zu dem Urteil kommt, man habe wirklich etwas zu sagen, mit klarer Haltung und aus tiefer Überzeugung: Dann gehts am nächsten Morgen fürs Interview in Moma. Dann spüren auch die Zuschauer, was die geneigten Rhetorik-Profis unter meinen Leserinnen und Lesern nicht erst seit der Überschrift dieser Rubrik wissen: Man spricht nur mit dem Herzen gut!