05.05.2021

Resch Rhetorik Review: „Verzeihung“

RESCHS RHETORIK REVIEW
Verzeihung!

Eigentlich muss der Autor einer Kolumne, die nur einmal im Quartal erscheint, seine Leser*innen zu Beginn seines Werkes stets um Verzeihung bitten. Ist es doch unumgänglich, dass er sich in seinem Text auf Ereignisse bezieht, die schon bis zu drei Monate zurückliegen, die von der Aktualität lange überholt sind und in der Erinnerung der geneigten Leserschaft bereits deutlich verblasst sind. Also: Ich bitte ganz zu Beginn für diesen Umstand um Verzeihung!

Und damit sind wir ja schon mittendrin. Es ist lange her und es wachsen schon wieder viele andere Schlagzeilen darüber. Aber – wir erinnern uns – wir müssen hier über einen rhetorischen Paukenschlag berichten. Die Kanzlerin tritt vor ihr Volk und bitte um – Verzeihung. Ein geradezu unerhörtes Ereignis. Die Kanzlerin konnte sich sicher sein: Das wird nicht überhört.

Entsprechend sorgsam hat sie offenbar auch ihre Worte gewählt. Sie bat um – Verzeihung. Und explizit nicht um – Entschuldigung. Eine Schuld wollte sie nicht auf sich geladen haben. Mit der „Verzeihung“ macht sie die Angelegenheit vielmehr zu einer Regierungspetitesse. Das ist schon feinste rhetorische Grammatur. Aber genau so macht der Gebrauch der Sprache Spaß und Sinn.

Also: Ein kleines Gewicht legte die Kanzlerin da in die rhetorischen Waagschale. Aber mit großer Wirkung. Angela Merkel hat gezeigt, was sie im Fall der Fälle versteht: Die Kunst, ein „rhetorisches Momentum“ entstehen zu lassen. So etwas passiert, wenn in einem entscheidenden Augenblick die innere Haltung und das richtige Wort auf der richtigen Bühne zusammenkommen. Sowas kann eine Regierende aber auch nur einmal bringen. Das stärkste Pulver ist damit verschossen.

Der Bürger und die Bürger-in wundern sich, warum die Kanzlerin die Macht und die Kraft des Wortes in der Corona-Krise nicht häufiger bemüht hat. Ja, wir erinnern uns: Am Anfang gab es dieses vom Teleprompter abgelesene TV-Statement. Aber, bitte schön, was soll das? Die ewige Teleprompterleiher. Ich wünsche mir mal ein Virus, das alle Teleprompter dieser Welt zeitgleich befällt und sie ohne den Umweg über irgendwelche technische Intensivstationen direkt in den Orkus der selbstgefälligen Monologe befördert. 

Menschenskinder! Was sollen wir denn von unseren Regierenden anderes erwarten, als das gesprochene Wort! Einfach gerade raus, so wie wir auf dem Wahlzettel auch unsere Kreuze machen. Das wär‘ was! Sebastian Kurz in Österreich hat dabei meist einen kleinen Zettel in der Hand. Na und? Oder vielmehr: Na bitte! Dafür spricht er frei. Die Kunst des im Augenblick des Sprechens verfertigten Gedankens mit all seinen Macken und „Ähs“ hat doch viel mehr Gewicht, Schlagkraft und Relevanz als jede durch den Prompter genudelte Perfektion.

Denksportaufgabe: Stellen Sie sich alle wichtigen Reden der Kanzlerin mal ohne Ablesen vor! Siehste! Oder die Leier-Reden vom Zettel-Rhetoriker Steinmaier einfach mal aus vollem Herzen und frei von der Leber weg… Also, wenn man sich als Wähler mal was wünschen darf, dann eine neue Regierung, die auf das frei gesprochene Wort setzt. Allein das wäre schon jedes Wählerkreuz wert. Ich werde im Wahlkampf darauf achten. Und ich ahne, dass der Orden wider den tierischen Ernst dafür keine schlechte Prüfung und Auszeichnung ist. Frei sprechen, das kann er, der Kandidat auch Aachen.

Gerade in einer Krise haben die vermeintlich Mächtigen doch nichts mehr als Handwerkszeug, als die Kraft des frei gesprochenen Wortes. Und das wirkt. Wie ein rhetorisches Vakzin sozusagen. Die freie Rede kann der mächtige Trägerstoff für die Botschaft sein.

Das hat Jacinda Ardern, die Staatschefin in Neuseeland bewiesen. Sie ist in der Corona-Krise regelmässig vor die Kameras getreten. Sie hat aus den Individuen in ihrem Land ein großes Wir geformt. Ihr Mantra des des „großen Teams von 5 Millionen“ hatte offenbar eine starke Integrationskraft. Wissenschaftler haben gezählt und gemessen. Und herausgefunden, dass Jacinda in der Krise deutlich mehr Pronomen verwendet hat, als sonst in einer Politiker-Rede üblich. Sie hat ihre Landsmänner und -frauen rhetorisch umarmt. Das ist das Gegenteil des rhetorischen Zeigefingers. 

Und sie hat durch ihre regelmässigen klaren Aufritte dem Regierungshandeln eine Stimme gegeben. Die Betonung liegt auf: Einer! Also keine Viren- und Daten- und Prognosen-Kakophonie. Sondern eine Stimme mit Präsenz, Richtung, Klarheit und Deutungshoheit. Das kann man in jedem Handbuch für Krisenrhetorik nachlesen. Aber diese Literatur scheint in der Bibliothek des Bundestages nicht vorhanden zu sein. In der Krise braucht’s rhetorische Matriarchen.

Jacinda Ardern hat mit der Kraft ihre Worte Transparenz hergestellt. Einen Satz wie den folgenden haben wir alle gemeinsam in der deutschen Corona-Politik wohl niemals gehört: „Das sind grundsätzlich alle Informationen, Daten und Analysen, die wir zur Verfügung stellen werden, um Neuseelands nächsten Schritt zu bestimmen. Ich teile das mit Ihnen, weil wir im Kampf gegen Covid-19 offen und transparent waren und weil ich persönlich sehr stark daran glaube, dass es schlicht fair ist. Da wir gemeinsam in diesem Boot sitzen, müssen wir alle weiterhin zusammen in Richtung Erfolg arbeiten. Und das heisst, dass wir die Faktoren, die wir berücksichtigen, und die Daten, die wir verwenden, allen zugänglich machen.

In solchen klaren Worten spricht die – übrigens – studierte Kommunikationswissenschaftlerin von Anfang an. So geht schafft man mit Rhetorik Leadership. Oder, auf bayerisch formuliert: So markiert man den starken Mann. Und damit wären wir bei Markus Söder und dem besten Beispiel dafür, dass für den Erfolg von Rhetorik immer auch die Zielgruppe entscheidend ist.

Eigentlich macht Markus Söder alles richtig. Es gibt kaum ein Interview mit ihm, in dem es nicht um sowas wie Gemeinsamkeit, Zusammenstehen, Sicherheit, Zukunft und Verantwortung geht. Das folgt einer alten Regel, die da besagt: Verteidige nicht Dich und Dein Handeln, sondern die Werte, für die Du stehst. Und wenn das erfolgreich sein soll, warum hat es bei Markus Söder mit der Kanzlerkandidatur nicht funktioniert? 

Lassen Sie es mich mit einer Geschichte erklären. Die Geschichte handelt darüber, wie die Henne ihre Küken nährt. Das geht nach Überlieferung nämlich so. Die Henne füttert jedes Küken, das „Tschiepp“ ruft. An dem Ton erkennt die Henne: Der/die/das Kleine hat Hunger und gehört offenbar zu mir. Also bekommt es, wonach es verlangt: Nahrung! Ein Küken, das nicht „Tschiepp“ ruft, darf keine Fürsorge und erst recht keine Gnade erwarten. Es verhungert. Jetzt haben, so wird berichtet, Forscher mal einen ausgestopften Iltis unter die Küken gemischt und ihn via Tonband laut „Tschiepp“ rufen lassen. Mit der Folge, dass die Henne fürsorglich gefüttert hat.

Was hat das nun mit Söder zu tun? Verzeihung, möchte der Autor sagen. Es ist eine kurvige Metapher. Aber: Söder dreht das Verhalten der Henne einfach rum. Er hört sich das lauteste Tschiepp in seinem Volke an und wählt sein Futter und die Fütter-Priorisierung (um ein zeitgeistiges Wort zu wählen) entsprechend. Das kann man rhetorisch machen. Das nährt das Image des starken Mannes. Das ist im besten Sinne des Wortes populistisch. Und was sollen wir von Politikern anderes erwarten, als populistisch zu sein. Keine Kritik! Das ist ihr Job. 

Aber wenn am Ende nicht die „Vox Populi“, also die Stimme des Volkes, sondern elitäre und im weitesten Sinne akademische Zirkel der Partei über den Kanzlerkandidaten entscheiden, dann stösst der Populismus offenbar an seine Grenzen und hat einen „haut gout“, wie der naserümpfende Franzose sagt. Das mag man nicht in den Kreisen der vornehmen Besser-Denker. Und so wurde der Markus eben nicht der Kandidat. Sondern der andere. Obwohl der sich rhetorisch gerade eher in einer Stümperphase befand.

Und wenn der neue Kanzler schließlich doch nicht aus Aachen kommt, dann wird sich Markus Söder vielleicht des Titels dieser Kolumne bedienen und sagen: „Verzeihung, aber wer hat das denn so gewollt…?“ Und er wird derweil das „Tschiepp“ seiner Bayern in den verschiedensten Tonlagen vernommen haben, sein politisch-populistisches Futter verfüttert haben und auf ewig der König der Bayern bleiben. Halleluja. 

Rhetorik erreicht die Menschen. Da zeigen die Umfragewerte für Söder. Aber Rhetorik scheint machen offenbar immer noch ein zwielichtiges Geschäft zu sein. Das zeigt die Kandidatenkür der CDU. Und das zeigt so manche, wenn nicht sogar jede Rede des Kurzzeit-Kronprinzen Ralf Brinkhaus, der eher durch die Rhetorik eines plärrenden Leitz-Ordners auffällt und damit so gar nicht überzeugt.

Verzeihung, liebe Lesende (so schreibt man, wenn einem der Verleger für „Leserinnen und Leser“ keine Platz einräumt). Wir haben uns ganz schön lange in der Vergangenheit aufgehalten. Katapultieren wir uns jetzt wieder zurück in die Gegenwart. Und da werde ich nun ständig gefragt: „Na, wie mache ich es denn mit den Gendern, dem Sternchen und den Lesenden? Das hört sich doch alles Kacke an.“ 

Tja, alter weißer Mann. Da kann ich Dir nur sagen: In der Rhetorik geht es niemals um den Absender. Sondern immer um den Empfänger. Schau Dir die Welt an, in der Du lebst. Und schau Dir die Welt an, aus der Deine Sprache kommt. Noch Fragen? Alles fließt, das wussten schon ein paar schlaue Griechen. Und wenn Du ewig am Ufer sitzt und auf den Fluss von gestern wartest, dann verschenkst Du eine Menge von dem, was Dir an Zeit noch bleibt.

Und die nächste Zeitenwende steht schon an. Die Grünen sind aus einer wie auch immer gearteten Regierungsverantwortung gerade nicht herauszurechnen. Und dass sie andere Menschen auf anderen Kanälen erreichen wollen, das zeigt, dass Annelena Baerbock für ihr erstes Interview einen Auftritt bei ProSieben gewählt hat. Sie ist nicht, wie sonst, artig zu Heinz Weiss und Heide Keller im ZDF ins „Was nun?“-Traumschiff (Oh, Verzeihung. Humor für ältere Herren. Das sind ja Peter Frey und Bettina Schausten). Sondern auf den heißen Stuhl bei Pro Sieben. Dort hat man dann offenbar schnell zwei Journalistendarsteller gecastet und sie mit ein paar Fragen aus dem journalistischen Fragen-Archiv von ARD und ZDF ausgestattet. Allerdings nicht aus der Politik-Redaktion, sondern aus der Sportredaktion. Und los gehts sinngemäß mit der dümmsten aller Fragen aus dem Spielertunnel: „Wie gehts Ihnen jetzt, nach der Wahl?“

Nun würde jeder mittelmäßige Medientrainer Annalena raten: Sprich jetzt nicht über Dich! Sondern schwenke ganz schnell auf Deine Themen! Gesellschaft, Veränderung, Zusammenhalt, Klimawandel. Die Zuschauenden müssen ganz schnell verstehen, um was es Dir geht.

Und, Kruzifix, Annalena macht das dann auch genau so. Und entpuppt sich als rhetorisch-politische Mogelpackung. Wer aus einer jungen Generation antritt und eine neue Politik verspricht, sollte nicht mit den verstaubten Medientrainings-Tipps der achtziger Jahre arbeiten. Es wäre eine Herausforderung – und ich bin sicher, manch ein Profi der Branche würde sie annehmen – eine neue Generation in der Politik auch mit einer neuen Interview- und Argumentations-Rhetorik auszustatten. Die mittelprächtige Performance von Frau Baerbock war am Ende aber gar nicht so schlimm. Denn die Journalistendarsteller waren ohnehin nicht ernstzunehmen. Und sie haben das Interview jeder Gravität beraubt, als sie am Ende auch noch ihrem politischen Gast applaudiert haben. Wo gibt‘s denn sowas!

Merke – an alle anderen Politiker: Ihr könnt gerne weiter zu ProSieben. Aber: Politisches Profil gewinnt man nur im echten Diskurs. Die eigene Waffe kann nur wirken, wenn auch der Gegner gekonnt und mit geschärfter Klinge kämpft. Und die Show von Markus Lanz ist inzwischen zu einer nicht ungefährlichen Showdown-Location für Politiker mutiert. Für meine Klienten zur Zeit die zweitgefürchtete Arena nach Klaus Kleber und Marietta Slomka.

Wo die beiden nur grimmig gucken, federt Markus Lanz mit einem Oberkörper nach gefühlt jedem dritten Wort aus seinem Sessel nach vorne und lässt seine Gäste kaum einen Gedanken ausformulieren, wenn es nicht seinem Gedanken entspricht oder wenn ihm seine Regie das Codewort „Markus, fass!“ aufs Ohr gibt. Damit ist er wohl einer der wenigen Moderatoren, der Markus Söder in ein rhetorisches Unentschieden getrieben hat. Und über den Blattschuss auf Armin Laschet schweigt der Beobachter milde. Markus L. hatte kein Erbarmen mit dem noch um seine Kaiserkrönung kämpfenden Armin aus Aachen, der im beigen Sessel zu sitzen schien wie Pan Tau – aber die kleine Version davon.

Merke: Wer mit komplexen Ideen und Gedanken zu Lanz geht, der sollte die Aufzeichnung in seinem Hotelzimmer besser verschlafen. Mit langer Herleitung, komplexer Argumentation und umfassender Dialektik ist hier nichts zu reißen. Das mag man beklagen. Egal. Das muss man wissen. Das muss man können. Und dann entscheiden: Tue ich mir das an? Die konsequente Reduzierung meiner Positionen aus Slogans? Ich rate im Zweifel: Übe es! Und mache es! Denn – fest steht auch: Wenn man diese Bühne beherrscht – glaubwürdiger und zahlreicher kann man seine Zielgruppe zur Zeit im Fernsehen nicht erreichen. Weil Markus Lanz eben nicht applaudiert wie die Moderatoren-Handpuppen bei ProSieben.

Ach, verehrte Lesende, Rhetorik ist, Sie merken es, ein weites Feld. Eigentlich müssten es alle Sprechenden einfach können. Denn nichts wenden wir so häufig an, wie unsere Sprache. Aber offenbar auch nichts anderes so unbewusst. Wie ist es sonst zu erklären, dass in der Corona-Kommunikation der Politik Begriffe wie „Corona-Leine“ oder „Test-Regime“ verwendet werden. Entweder sitzen in diesen riesigen Runden wirklich keine Kommunikatoren mit am Tisch. Oder sie sind, wenn es ernst wird, gerade auf dem Balkon eine rauchen. 

Ach, am Schluss mal was völlig anderes. Kennen Sie Peter Gauweiler? Der stand im vergangenen Quartal auch in den Schlagzeilen. Weil er einem Milliardär wohl regelmässig Rechnungen geschrieben hat. In der Summe sollen es über zehn Millionen sein. Und dabei für einige Zeit auch noch Abgeordneter war. Eine dieser Geschichten eben. Die Story selbst ist auch egal. Entscheidend ist seine Antwort auf eine Anfrage der FAZ.

Wo jeder Krisenkommunikator wohl nervös im Dreieck springen würde, mit welchen rhetorischen Kniffen man seinen Mandanten nun aus dem Schussfeuer bekommt, lässt Peter Gauweiler sich so zitieren – Achtung, bitte langsam und aufmerksam lesen: Die Nachfragen, die in dieser Sache nun an ihn gerichtet würden, erinnerten ihn an die Szene, wie der Künstler Joseph Beuys einem toten Hasen, den er auf dem Arm trägt, die Bilder einer Ausstellung erklärt. 

Das muss man nochmal lesen und sich auf der Zunge zergehen lassen. Rhetorisch eleganter und innerlich unabhängiger kann man das, was man eigentlich sagen möchte, kaum verpacken. Nämlich: Leckt mich doch einfach alle mal am A….! Oh, Verzeihung!

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