10.09.2021

Reschs Rhetorik Review: „Das G-Wort“

FĂŒr das magazin „politik und kommunikation“ beobachte ich regelmĂ€ssig die politische Rhetorik in Berlin. Hier meine Kolumne Reschs Rhetorik Review aus dem September 2021 – rund um ie Bundestagswahl.

Resch Rhetorik Review, September 2021
Das G-Wort

Was hat der Autor sich auf genau diese Ausgabe von Reschs Rhetorik Review gefreut. Im August! Mitten im Wahlkampf! Da schreiben sich diese Zeilen doch ganz von alleine! Und jetzt: Sitzt der Autor vor einem leeren Bildschirm. Und wartet. So wie wir alle. Dass endlich was passiert. Dass mal eine oder einer den Mund aufmacht. Und nicht nur, um hinter dem RĂŒcken des BundesprĂ€sidenten zu grinsen. Sondern um zu streiten. Um zu diskutieren. Um Meinungen und Positionen miteinander ringen zu lassen. Um die Kunst des gesprochenen Wortes zur Meisterschaft zu bringen. Stattdessen – benutzt der Autor hier zum ersten Mal das in der Überschrift annoncierte G-Wort: GĂ€hn!

Sowas von „nichts“ hat man mitten im Wahlkampf selten erlebt. Eine Art rhetorisches Politik-Mikado. Wer zuerst was sagt, hat verloren. „Schon Schweigen ist Betrug“ hat Konstantin Wecker mal in der grauen Vorzeit der Liedermacher zum Besten gegeben. Das gilt umso mehr mitten im Wahlkampf. Woran sollen wir sie messen, die Kandidaten, wenn sie NICHTS von sich geben, was Relevanz hat. Da isses wieder, das G-Wort: GĂ€hn.

Vielleicht liegt es aber auch gar nicht an den Annalenas, an den Armins und an den Olafs, dass wir schon vor lauter GĂ€hnen erschöpft sind. Vielleicht liegt es ja auch den Journalist*innen. Denn von denen kommen ja die Fragen, auf die es dann zu antworten gilt. Und jetzt – Hand aufs Herz: Kann sich die geneigte Leserschaft an eine, an nur eine (!) essentielle Frage aus den unzĂ€hligen Sommerinterviews erinnern? War da eine, auch nur eine (!) Frage dabei, an der man als Politiker*in seine rhetorischen KĂŒnste schĂ€rfen und messen kann? Gab es eine, auch nur eine (!) Frage der treffsicheren Thomas-Walde-QualitĂ€t, der seinerzeit Alexander Gauland im Interview an irgendeinem Potsdamer GewĂ€sser zum rhetorischen Absaufen brachte, weil er auf Fragen jenseits des Themas FlĂŒchtlinge so gar keine Antwort hatte? Nichts dergleichen, ein Interview-Sommer zum G-Ă€hnen! Merke: Geschliffene Rhetorik braucht immer auch messerscharfe Fragen.

Stattdessen wird stumpf palavert und geplaudert. Es ist schon erschreckend, dass das einzige Interviewformat, das bis dato irgendwie die Wahlkampf-Schlagzeilen beherrschte, der Brigitte-Talk ist, in dem Frau Baerbock ĂŒber Aussehen und Erziehung (sic!) und Armin Laschet ĂŒber seine nĂ€chtlichen Netflix-Eskapaden (was seine Frau ĂŒberhaupt nicht mag, ach!) sprechen durften. Wenigstens Armin Laschet hat die Plauderei noch zu einer quasi-politischen- Botschaft genutzt: Er brauche wenig Schlaf! Das hat ja schon mal deutlich was von FĂŒhrungsqualitĂ€t. G-Ă€hn!

Also, wenn die Damen und Herren aus dem Wahlkampf nicht selbst den Stoff fĂŒr diese Rubrik liefern, dann schreibe ich Ihnen was in rhetorische Logbuch. Vielleicht lesen sie es ja noch. Und können auf den letzten Metern was damit anfangen. Wenn sie sich doch noch entscheiden, mit der Kraft des Wortes zu streiten.

Liebe CDU, Euer Armin ist ja bisweilen echt arm dran. Ist er so, wie er ist, dann ist es nicht recht. Und wenn er dann gar nicht mehr lĂ€chelt, ist das Netz voller Fotos mit einem grimmig dreinblickenden Kanzlerkandidaten und alle machen sich ĂŒber ihn lustig.

Das ist ja immer so die Gretchenfrage der Kandidaten: Wer bin ich? Und wer darf ich sein, um Erfolg zu haben? Welche Geschichten erzĂ€hle ich wem in welchen Worten? Im Augenblick des Schreibens dieser Zeilen ploppt ein Videopost des Kandidaten auf Instagram auf. Da steht Armin Laschet inmitten der bunten Welt der Influencer und der schnellen Messages, und sagt in der Tat folgendes: „
 Leben im lĂ€ndlichen Raum muss attraktiv sein. Auch da muss man noch Wohneigentum erwerben können
“ undsoweiterundsofort.

Dieses BĂŒrokratendeutsch ist sicher der Klick-Burner in der Inflcuenerwelt von Insta. Helmut Kohl sagt man ja nach, dass er „mit de Leut‘“ ganz gut konnte. Da wĂ€re Insta das richtige Medium fĂŒr ihn gewesen. Weil man da eben „bei de Leut‘“ ist. Und deswegen auch so sprechen sollte, wie die Leut‘. Und definitiv nicht so wie es Armin Laschet tut: Mal kurz vor die Kamera und den Text vom jurisprudenten Referenten runterleiern. Dann kommt das dabei raus. Einen Text, den man schon kaum lesen wĂŒrde. Und hören erst recht nicht. 

Merke: Auf Insta und im richtigen Leben spricht außer eilfertigen Referenten niemand vom lĂ€ndlichen Raum. Und das Wort Wohneigentum haben selbst die Bausparkassen bereits wegen dokumentierter Unsexyness aus ihrem Wortschatz gestrichen. Eine gute Rede ist seit Urzeiten der Rhetorik nicht eine Form des korrekten Aufsagens, sondern eine Form der Interaktion. Und die sozialen Medien sind die neuen BĂŒhnen fĂŒr diese Reden. Da geht‘s um Ansprache, nicht um das Runterleiern. Wie wĂ€re es damit: „Ihr wohnt auf dem Land und wollt dort bleiben. Weil es Eure Heimat ist. Weil es Euch da gefĂ€llt. Dann habt Ihr mich an Eurer Seite
“ Na, Unterschied gemerkt?

Das komplexe und komplizierte Reden scheint mir ĂŒberhaupt eine rhetorische Krux des Kandidaten aus dem katholischen Aachen zu sein. Er scheint in seinem ErzĂ€hlstil geprĂ€gt von der Bibel. Die beginnt nĂ€mlich ganz vorne. Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und dann kommt die Bibel aus dem prozessualen ErzĂ€hlen nicht mehr heraus. Das lernen wir ja auch in der Schule, wenn wir im ersten Aufsatz den Weg von zuhause eben dorthin beschreiben sollen. Dann fangen wir vorne an. Und hören hinten auf. Und wenn wir das gut machen, dann gibt es die erste gute Note. Und der kleine Armin speichert ab: Prozessuales ErzĂ€hlen ist gut. Merke: Ist es aber nicht!

Gute Rhetorik beginnt nicht vorne. Sondern bei den Zuhörerinnen und Zuhörern. Und das gelingt Armin Laschet selten. Auch nicht, als er sich aus dem tiefen Bayern auf den Weg in die Hochwassergebiete seines Bundeslandes macht. Er tritt vor die Kameras und beginnt – vorne! Die gesamte improvisierte Pressekonferenz wird live ĂŒbertragen. Da sind ein paar Millionen live dabei. Und die wichtigsten Soundbites gibt’s gleich in den Nachrichten. Und Armin Laschet? ErzĂ€hlt erstmal das, was in den letzten 24 Stunden geschehen ist. Er beginnt seine prozessuale Schilderung bei dem ersten Regentropfen. Bis er dann mal wesentlich wird, sind die Zuschauer lange weg.

Liebe SPD, nun zu Dir: Wenn Dein Olaf Kanzler werden soll, dann gib ihm ganz viel Nachhilfeunterricht bei Malu Dreyer. Die MinisterprĂ€sidentin aus Mainz wurde hier schon hĂ€ufiger lobend erwĂ€hnt. Sie kommt ja gebĂŒrtig aus der Pfalz, wie Helmut Kohl eben auch. Und das „nah bei de Leut‘“ scheint hier ein genetisch bedeutendes Merkmal zu sein.

Als Malu Dreyer im Hochwassergebiet ankommt, ist auch fĂŒr sie eine Pressekonferenz vorbereitet. Und Malu Dreyer spricht nicht prozessual. Sondern im Moment. Aus dem Herzen. Zu den Menschen. Und sagt als allerersten Satz: „Was den Menschen hier passiert ist, das macht mich sprachlos. Wir mĂŒssen hier alle gemeinsam helfen, damit Sie hier wieder  leben können“ So einfach kann Rhetorik sein.

Die SPD kann die Macht des gesprochenen Wortes gerade deutlich besser nutzen als die CDU. Beispiel gefĂ€llig? Armin Laschet verspricht den Hochwasseropfern, dass ganz bald ein Bundesgesetz kommt, dass ihnen dann irgendwann finanzielle Hilfe ermögliche. Dann gebe es irgendwann auch wieder eine Perspektive. Wie immer: Voran anfangen, komplex sprechen, hinten aufhören. Das ist Laschet-Rhetorik. Schon Aristoteles soll gesagt haben: Die Wahrheit liegt immer beim GegenĂŒber! Was nichts anderes bedeutet, als: Beginne Deine Rede bei der wichtigsten Emotion Deiner Zuhörer*innen!

Neben Armin Laschet steht wĂ€hrenddessen der andere Kandidat, Olaf Scholz. Auch wenn man ihm immer wieder nachsagt, der Scholzomat können weniger „mit de Leut‘“ – dann hat er vielleicht gelernt. Das macht gute Kandidaten ja aus. Dass sie sich fĂŒr ihr Ziel auch verĂ€ndern. Mit dem „Ich will so bleiben, wie ich bin“-Mantra hat noch kaum einer Karriere gemacht.

Und siehe da: Olaf Scholz findet er bei seinen Besuchen in den Hochwassergebieten nicht immer nur die richtige Miene. Sondern auch die richtigen Worte. Er sagt: „Wenn ich mir die Zerstörung hier in den drei  BundeslĂ€ndern Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz anschaue, dann ist es mir eine Motivation, Ihnen zu sagen, wir werden das gemeinsam schaffen.“ Wahrscheinlich braucht er dazu das gleiche Gesetz, ĂŒber das eben Armin Laschet gesprochen hat. Aber er spricht nicht darĂŒber. Er spricht mit den Menschen. Ist das die neue Scholz-Rhetorik? Das ist nur ein Beispiel. Davon gibt es viele. Und: Das wirkt. Zum heutigen Tag wollen 35% der WĂ€hler den Hanseaten als Kanzler, mehr als jeden anderen der allfĂ€lligen Kandidat*innen. Ein Indiz, dass es doch entscheidend ist, wie man spricht?

Liebe GrĂŒne, wenn man Eure Annalena so erlebt, dann bleibt man erstaunt. Und fragt sich, warum die Partei der neuen Generation keinen Medientrainer der neuen Generation beschĂ€ftigt. Stattdessen nutzt die Kandidatin stets die rhetorischen Ausfluchtregeln aus den frĂŒhen siebziger Jahren. Wie man das damals so gelehrt hat: Auf kaum eine Frage eingehen, die Ebene wechseln, unverbindlich bleiben, irgendwie was sagen, aber bloss keinen verschrecken. Ob bei Pro7, in der ARD, im ZDF oder in der FAZ. Immer das gleiche ausgeleierte Medientrainings-System. Weg von der Frage – hin zu meiner Message. AltertĂŒmlicher kann man nicht argumentieren. Und damit den anderen Parteien zum Verwechseln Ă€hnlich sein. Da wĂŒrde ja selbst Rainer Barzel sagen: Hab ich auch schon so gemacht! Und ist damit ĂŒbrigens auch kein Kanzler geworden.

Wer Kanzler*in werden will, soll meinetwegen alle verfĂŒgbaren Medientrainings mitmachen. Schadet ja nicht. Aber am Ende sich nicht an eines davon halten. Sondern aus dem gesamten Wissen um Wirkung und Relevanz den ganz persönlichen Auftritt gestalten. Ein gutes Medientraining macht frei. Bei Frau Baerbock hat man das GefĂŒhl, es wirkt wie eine Flexileine, die sie auf Knopfdruck immer wieder ins rhetorisch Seichte zieht. Da kann man zwar bekanntermaßen nicht ertrinken. Aber eben auch nicht reĂŒssieren. 

Die grĂŒne Kandidatin in Berlin macht das ĂŒbrigens ganz anders. Bettina Jarrasch spricht Tacheles. Beispiel: Jarrasch gilt als Feministin und ist zugleich in der katholischen Kirche engagiert. In ihrer konservativen Augsburger Heimat ginge das eine wohl nicht, in ihrem neuen Zuhause, in Berlin, bekommt sie fĂŒr die Sache mit dem Kreuz wohl eher keinen Applaus. Und wo jeder Medien- und Strategieberater wohl empfehlen wĂŒrde: Entscheide Dich! Sagt Sie: „Das kennt jeder. Im Leben gehts manchmal nicht ohne Spannungen.“ Rums. Das ist feinster Kretschmann-Style. Und der ist ja bekanntermaßen nicht unerfolgreich.

ZurĂŒck zur Bundeskandidatin: Mann, Ihr GrĂŒnen, ein Tipp von mir. Der nicht mehr ganz so neue heiße Scheiß der Rhetorik heisst Storytelling. Ihr habt doch eine Vision fĂŒr das Land! Es gibt, da bin ich mir sicher, tausend Dinge, WOFÜR Ihr seid. Dann redet doch nicht immer darĂŒber, was Ihr verbieten wollt. Dieses ewige „Wir wollen unseren Kindern eine bessere Welt hinterlassen“ – na klar, das ist wichtig. Aber diese Metapher reist keinen mehr vom Hocker. Macht es doch mal konkreter! Wie sieht denn ein Land nach 5 Jahren „grĂŒn“ aus? Wie lebenswert, wie anders! Wie wollt Ihr das bezahlen? Der Green-Deal ist ein Milliardenprojekt. Selten wurde so viel in die Zukunft investiert. Was das fĂŒr Stories sind. Wie das alles Land und Leben verĂ€ndern wĂŒrde. Also: Den Kindern eine bessere Welt zu hinterlassen, hat ja nicht nur mit Verzicht zu tun. Das alles ist auch ein Ziel. Lasst Bilder entstehen ĂŒber eine Zukunft jenseits ausgetretener Metaphorik. Das wĂ€re mal was. Und das Schöne: Da hĂ€ttet Ihr dann auch das Copyright dran. Denn so konkret redet nicht mal Markus Söder. 

Womit wir bei der lieben CSU wĂ€ren. Was der Söder alles verspricht! Er redet in grĂŒnen Superlativen daher. Und in gekonnten Nadelstichen gen Laschet. Dabei nutzt er aber nicht die feinen NĂ€hnadeln. Man hat das GefĂŒhl, er sticht mit den rhetorischen Stricknadeln zu. Robust und schmerzvoll. Aber: Was er anders machen wĂŒrde! Wie er seine grĂŒnen Zielen erreichen will! Was das alles kostet! Wer den Preis dafĂŒr zahlen soll! So viele Fragen
 darauf wĂŒrde man gerne mal Antworten hören. Bloß diese Fragen scheint keiner zu stellen. Und wenn doch, dann packt Markus Söder die nĂ€chste schmerzvolle Stricknadel aus und piekst damit den Kandidaten aus Aachen in den Allerwertesten. Und schon stĂŒrzen sich alle auf seinen „Schlafwagen“. Mein Gott, das ist keine Kunst. FĂŒr einen Politprofi sind das rhetorische LaubsĂ€gearbeiten, ĂŒber die ich mir jede Analyse und jedes Urteil erspare. Aber das kann man Markus Söder ja nicht mal ĂŒbelnehmen. Warum soll er sich strategisch abarbeiten, wenn er bei der Presse auch mit rhetorischer Sparflamme durchkommt. Die scheint ja mit dem „Schlafwagen“ ihr Zitat fĂŒr die nĂ€chste Klick-Runde im Netz zu haben.

Damit sind wir wieder beim Anfang der Debatte. Gute Rhetorik braucht gute, hartnĂ€ckige, bissige Fragen. Es liegt an den Journalisten, die richtigen Gewichte auf die Stange zu legen. Und dann macht’s Spaß, den Politiker*innen beim Heben und beim Verheben zuzuschauen. Vielleicht kommt da ja noch was. Hoffentlich. Dann wĂŒrde es mehr nicht um das Aufrechnen organisatorischer Fehler und deutlich unbefriedigend dokumentierter Zitate gehen. Sondern um Themen. Das wĂ€r‘ doch mal was. Dann hĂ€tte ich auch in der nĂ€chsten Rubrik wieder was anders zu schreiben als ein Referat ĂŒber das G-Wort.

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