19.04.2022

Der rhetorische Scholz – oder: Warum man sich als Leader nicht verstecken kann.

Von Lenin ist der Auftrag überliefert, man solle die Dinge hinter den Dingen erkennen. Und von Jean-Claude Juncker stammt die entscheidende Ergänzung dieses Satzes. Der immer alles und jeden herzlichst herzende Juncker sagte einmal, als Politiker sei man erstaunt, was man hinter den Dingen finde. Hinter den Dingen sei immer – der Mensch.

Diese so wichtige Erkenntnis für die Wirkmacht von Politikern scheint bei Olaf Scholz noch nicht angekommen zu sein. Es wirkt, als säße er allein im Maschinenraum des Kanzleramtes und regiere „die Dinge“ wie ein Regierungscomputer einfach ab. Und wundere sich, dass immer weitere „Dinge“ in sein Sichtfeld geraten – und weit und breit kein Mensch. Na bitte! Klassischer Fall für das angewandte Höhlengleichnis.

Selbst bei seinen spärlichen Auftritten liest Olaf Scholz alles ab, buchstabiert jedes Wort mit gesenktem Haupt von Blatt Papier.

Es sind offenbar „die Dinge“, an denen Olaf Scholz sich festhält. Und nicht die Menschen, an die er sich wendet. Und wenn ihm doch mal Menschen in die Quere kommen, dann macht er sie zu „Jungs und Mädels“. Wie soll man die Rhetorik eines Kanzlers beurteilen, der eine solche Rhetorik hat?

Gewiss, Olaf Scholz hatte nicht die berühmten 100 Tage – eine Karenz des Ankommens, die wir heute selbst jedem Abteilungsleiter für Herrenkonfektion gewähren. Gleich das volle Programm – keine Politikkonfektion, sondern diplomatische Maßarbeit: Corona, die Ukraine, die Energie, die Russen. Dafür braucht man Zeit im Maschinenraum. Und nicht zuerst die Bühne. Aber die Menschen brauchen die Bühne. Notabene, Olaf: Führung braucht Worte.

Wo ist der mutige Geist aus dem Team Scholz, der Olaf vor der Wahl gesagt hat, wie man „nah bei de Leut“ ist? Immerhin hat es im Wahlkampf funktioniert. Und die meisten haben Olaf gewählt. Den Lächler, den Plauderer, den Verfechter von Respekt – zumindest, wenn die Kameras liefen.

Aber: Es war ein Corona-Wahlkampf. Viele Kameras, viele kalkulierbare Sendeslots, viele kurze Aktionsflächen, auf denen man den Scholzomaten für Minuten aus- und den menschelnden Kandidaten einschalten konnte. Und ganz wenig Jungs und Mädels in den Fußgängerzonen und Mehrzweckhallen. Hätte in einem Wahlkampf voll mit Menschen, Winken und Anfassen vielleicht doch der rheinische Katholik – wie hieß er gleich nochmal – das Rennen gemacht?

Jetzt ist aber Olaf Kanzler. Und wir wollen den Mann, der auf den Plakaten Respekt verkündet hatte. Wo ist er? Der sich an uns wendet. Persönlich. Entschieden. Klar.

Und wenn Olaf Scholz nicht weiß, wie das geht: Die Nummer von Jean Claude Juncker sollte im Kanzleramt sicher noch irgendwo rumliegen. Der hat Zeit und erklärt ihm sicher gern bei einem Moselriesling, was man hinter den Dingen finden kann, wenn man das Zeug dazu hat. Und die Rhetorik – folgt dann von ganz allein. Versprochen!

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