20.06.2023

Reschs Rhetorik Review – aus Politik & Kommunikation

Markus Resch schreibt regelmäßig Rhetorik-Analysen für das Magazin Politik & Kommunikation. Hier die Folge aus dem Juni 2023.

Was auf die Ohren – Die Kunst des gelungenen Interviews und das Geheimnis eines erfolgreichen Podcasts

Ich werde ja immer wieder mal nach Beispielen für ein wirklich gelungenes Interview gefragt. Um ein solches Beispiel zu liefern, muss man sich erstmal klar machen, was überhaupt ein gutes Interview ist.

Die wichtigste Regel: Ein gutes Interview findet nicht dann statt, wenn zufällig mal ein Journalist anruft. Sondern ein gutes Interview findet dann statt, wenn die Interviewpartnerin das will. Ein gutes Interview ist also keine Opportunität. Sondern ein klarer strategisch herbeigeführter Anlass. Ich habe was zu sagen! Sonst muss ich kein Interview geben.
Wenn das schon mal klar ist, dann ist auch klar, dass ein gutes Interview nicht von den Fragen abhängig sein kann. Wie oft habe ich in meinem Journalistenleben NACH einem Interview von meinem Interviewpartnern gehört: „Ach, ich hätte noch so spannende Sachen zu erzählen gehabt, danach haben Sie mich gar nicht gefragt.“ Mein Gott! Woher soll ich das denn wissen? Ein guter Interviewpartner muss seine Messages schon selbst erzählen. Und zwar so, dass sie trotzdem zu den Fragen passen.
Damit kommen wir in den Bereich absoluter Professionalität. Das muss man können und beherrschen (zwei verschiedene Dinge). Und dafür braucht man für das Interview ein klares Ziel. Das hat die Journalistin im besten Fall ja auch. Warum soll ich ihrem Ziel folgen? Dann doch lieber meinem eigenen.
Für ein großes Interview in den Leitmedien wie SPIEGEL, FAZ und SZ sind das im besten Fall drei klare Botschaften. Eine zum eigentlichen Thema, eine zur persönlichen Positionierung und eine mit visionärem Touch (immer wichtig). Und wenn diese Botschaften dann, wie im Interview des SPIEGEL mit Boris Pistorius, auch noch in der Überschrift und in den beiden fettgedruckten Zwischenüberschriften auftauchen – dann hat man es geschafft. Da stand nämlich fett zu lesen: „Ich bin ein Kind des Kalten Krieges“. Oder: „Sie können nur gut führen, wenn Sie sich beraten lassen und zuhören.“
Damit hat der Verteidigungsminister im Kampf ums Storytelling (nichts anderes ist ein Interview: wird’s die Geschichte der Journalisten oder die der Interviewpartner?) die richtigen Botschaften treffsicher abgefeuert.
Und damit positioniert er sich Boris Pistorius als rhetorischer Gegenentwurf zu seiner gescheiterten Vorgängerin. Die das alte rhetorische Polit-Prinzip „Verteidige niemals das was Du tust, sondern immer das, wofür Du stehst“ konsequent missachtet hat. Mit den bekannten Folgen.
Der Rest des Pistorius-Interviews: Breitbeiniges Rumgeeiere wie zu besten Gerhard-Schröder-Zeiten. Das muss diesen Niedersachsen irgendwie im Blut liegen. Egal. Die Messages sitzen. Gut gemacht! Also: Ein gutes Interview! Und das ist vielleicht die Erklärung dafür, warum alle den Boris „so lieben“, wie seine „Ex“ Doris Schröder-Köpf via BILD flötete. Weil er es einfach kann, auf richtige Art und Weise durch die Medien mit den Menschen zu sprechen. 
Das erlebe ich auch in meinen Coachings immer wieder. Wer in seiner Karriere die „Ochsentour“ hinter sich hat – sowas wie Ortsvorsteher, Bürgermeister, Landrat, Abgeordneter, Innenminister – der hat meist in allen möglichen rhetorischen Zaubertrankkesseln einer Politkarriere ausgiebig gebadet und weiß, wie man der Empathie den angemessenen Ausdruck verleiht.
Die Menschen mögen vor allem den, der aus der Höhe der Kanzel zwar, aber zugleich auf Augenhöhe mit ihnen zu sprechen weiß. Natürlich ein bisschen Leader und Wegweiser – aber nicht zu viel. Natürlich ein bisschen Vordenker und Welterklärer – aber nicht zu akademisch. Und auf jeden Fall Menschenversteher und Menschenadressat. Ganz schön anstrengend. Und so sehr sich phänotypisch Redner wie Joachim Gauck, Gregor Gysi und Wolfgang Kubicki unterscheiden. Ihr Sprech-Handwerk verstehen sie. Weil man ihnen zuhört. Und über sie spricht. Die Mechanik der öffentlichen Meinung bedient man am besten und am wirkungsvollsten mit einer Sprache, die die Geschichten der Zielgruppe erzählt. 
Wer das kann und wer daran scheitert, das konnte man rund um die großen Streiktage in den Talkshows der Republik bewundern. Es ging, wir erinnern uns, um die Frage: ist es angemessen, das ganze Land lahmzulegen, um damit die Lohnforderungen durchzudrücken.
Die Talkshows waren nach dem immergleichen Theaterprinzip besetzt. Die Vertreter der Geknechteten auf der einen Seite. Und das Kapital auf der anderen Seite. Und da zeigt es sich, was ich in meinen Medientrainings so oft erlebe. Wer sich an der Gegenposition abarbeitet, wird im Ringen um die öffentliche Meinung unterliegen. Gerade meinen Klienten aus den Unternehmen muss ich es immer wieder erklären. Wenn Dir bei Maischberger und Co endlich der Politiker gegenübersitzt, dem Du immer schon mal die Meinung geigen wolltest – die Talkshow ist der schlechteste Ort dafür. Denkst Du wirklich, der geht da am Ende reumütig und überzeugt aus dem Studio?
Also: Lass es! Besinne Dich auf das, was die Rhetorik seit Menschengedenken lehrt. In den großen Foren geht es nicht um die „Persona“, die Dir gegenübersitzt. Es geht auch nicht um die Fakten, die du bis auf die letzte Ziffer hinterm Komma beherrschst und die dich – vielleicht gerade in Tarifauseinandersetzungen – vielleicht sogar nachts nicht schlafen lässt. Es geht allein um Deine innere Haltung, also wie Du zu den Menschen sprichst – „ad homines“ wie wir Rhetoriker sagen.
Und dann darf die Position der Arbeitgeber eben nicht lauten, dass es bei den Tarifverhandlungen um die ‚Wettbewerbsfähigkeit‘ des Standortes oder um die ‚Zukunftsfähigkeit‘ des Unternehmens geht. Selbst wenn es so ist: mit diesen langsilbigen Ungetümen erreicht Ihr die Menschen nun mal nicht. Kaum ein tarifgebundener Arbeitnehmer spricht mit seinen Kolleginnen oder der Familie über die Wettbewerbsfähigkeit seines Arbeitgebers. Also wird man ihn mit diesem Argument nicht erreichen können. 
Merke: Alles, was uns Menschen nahe ist – Kopf, Ohr, Nase, Mund, Knie, Hand, Fuß – hat meist eine Silbe. Selbst zuhause gibts das Haus mit Dach, Tür, Tisch, Stuhl und Bett. Das hat seinen Grund. Weil wir es uns in der Sprache klar und verständlich eingerichtet haben. Wer also in einer Talkshow als Arbeitgeber auf die Wirkmacht eines Wortes wie „Zukunftsfähigeit des Wirtschaftsstandortes“ setzt, der bekommt die Tür zum Herz von Mann und Frau niemals auf.
Meine klare Ansage an die Unternehmerinnen und Unternehmer: Wer keine anderen Argumente hat, als die beiden Zieharmonika-Begriffe Wettbewerbsfähigkeit und Zukunftsfähigkeit, sollte keine Einladung zu einer Talkshow annehmen. Dort sitzen sie dann nämlich Vertretern von Sozialverbänden oder Poitikerinnen der Linken gegenüber, die tief berührende Geschichten aus dem wahren Leben erzählen. 
So geschehen bei Hart aber Fair. Und die am Tisch sitzende Unternehmerin – die teuerste Frisur, das teuerste Kleid der Runde – sagte dann zu den Forderungen der Gewerkschaften: „Das können wir uns nicht leisten.“ Wegen der Wettbewerbsfähigkeit und der Zukunftsfähgkeit undsoweiterundsofort. Das würde dem Politiker mit der Ochsentour niemals passieren.
Und dann gab es noch die Meldung, dass die Podcasts der Bundesregierung Unsummen verschlingen – aber keine jemals zuhört. Wenn wir uns mit der Frage beschäftigen, was einen Podcast erfolgreich macht, laden wir schnell wieder bei der Rhetorik. Denn nur weil alle einen machen – das allein reicht halt nicht aus. Und weil die Chefin unbedingt einen will – das ist auch kein Grund.
Wie so oft, liegt das Geheimnis des Digitalen tief im Analogen der Rhetorik und der Literatur. In der Schule haben wir aussterbende Humanisten dereinst ja mal gelernt: Jede Novelle muss ihren Falken haben. Das geht auf die Falkennovelle von Giovanni Boccaccio zurück. Hier wird in der Geschichte der Falke verspeist. Ein unerhörtes Ereignis. Unerwartbar. Eine echte „Story“.
Und genau das braucht auch ein erfolgreicher Podcast. Das Unerwartbare. Das, was guten Journalismus ausmacht und warum wir uns doch immer wieder die Sommerinterviews und die Wahlduelle anschauen. Weil ja wider Erfahrung und Erwartung doch was passieren könnte…
Dann wird schnell klar: Wenn im Podcast der Pressesprecher seinen Chef interviewt, dann kann es nix werden. Und wenn der, der die ganze Chose bezahlt, Gast in seinem eigenen Podcast ist: Kannste vergessen!
Zum Mitschreiben: Es gilt für einen guten Podcast das, was seit Boccaccio für eine Novelle gilt. Vier klare Regeln. Bereits geschildert: Das Unerwartbare ist Regel Nummer eins. Kürze und Prägnanz ist Regel Nummer zwei. Eine überschaubare Anzahl von Protagonisten ist Regel Nummer drei. Und bloß nichts Alltägliches gebietet Regel Nummer vier. Dazu noch ein paar Klenigkeiten aus dem Kleingedruckten des Decamerome: Der Erzähler ist niemals wichtiger als die Story. Und es braucht Wendepunkte. Fertig ist der Lack, wie Boccaccio gesagt hätte.

Ganz einfach also. Wenn man weiß, wie’s geht. Das würde auch den Ministerien eine Menge Geld sparen. Und vielleicht bekommen wir dann auch mal was Spannendes auf die Ohren. 

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