15.02.2024

Reschs Rhetorik Review – aus Politik & Kommunikation

Das rhetorische Organversagen

Eins ist klar: Es sind Zeiten, in denen geht es politisch um richtig viel. Es geht um die Zukunft unserer Demokratie. Und für solche Momente ist den Politikerinnen und Politikern die Macht des gesprochenen Wortes gegeben. Und was machen sie daraus? Darum soll es in dieser kleinen traurigen Betrachtung gehen. 
Erstmal ein positives Beispiel: Es waren keine großen Kameras dabei, als Armin Laschet in Aachen auf der örtlichen Demokratie-Demo spricht. Der Mitschnitt im Netz wirkt wie ein Handy-Video. Armin Laschet spricht also nicht für die große Bühne. Aber fesselnd und mitreißend. Er lässt in wenigen Worten die zwei Monate Revue passieren – vom 23.1.1933 als Hitler Reichskanzler wurde bis zum 23.3.1933, als Hitler die Rede zum Ermächtigungsgesetz hielt. Zwei Monate nur, die das Land völlig verändert haben. Seine Rede: Eine Reihe kalter historischer Fakten. Nicht mehr. Das Ende der Geschichte kennt ohnehin jeder.
Die Rhetorik des „Nie wieder“ wird in den vier Minuten von Armin Laschet zu einem ehernen Schwur aller Menschen, die in der Aachener Kälte frieren. Wir müssen konstatieren: Armin Laschet wäre wohl ein Kanzler, der mit Worten zu führen wüsste. Hätte er im falschen Moment nicht gelächelt.
Er trägt eine Rede vor, wie wir sie in unserem Parlament lange nicht gehört haben. Frei. Leidenschaftlich. Klug. Gebildet. Engagiert. Dabei haben Amts- und Würdenträger wie Walter Steinmeier und Bärbel Bas doch geradezu die Verpflichtung zu bewegender Demokratie-Rhetorik. Was sie zurzeit aber daraus machen, das ähnelt einem rhetorischen Organversagen – eine schmerzvolle rhetorische Führungslücke der entscheidenden Organe unserer Demokratie.
Und der Kanzler? Er begegnet einem ja bisweilen in den sozialen Medien, wenn er darüber reflektiert, ob er Döner oder Currywurst mag. Currywurst übrigens. Aber die große Rede? Im Parlament? Ja, die Zeitenwende! Aber: Lange her! Eine einzige große Rede macht noch keinen Kanzler. Und eine zweite große Rede? Da gehts uns wie dem Kanzler. Daran können wir uns nicht erinnern. Und in unseren Kalendern finden wir auch keinen Eintrag dazu. 
Es fällt einem gerade noch die jüngste Generaldebatte ein. Das war aber nichts mehr als ein infantil geskriptetes Gezänk der beiden Kindergartenkindern Klein-Olaf und Klein-Friedrich. Manche haben lautmalerisch vielleicht noch das ‚Glaskinn“ im Ohr – mit dem hanseatisch kurzen „a“ – das Olaf dem Friedrich attestiert. Wie bitte? Man kann es kaum glauben. Die AfD bläst zum Sturm auf die Demokratie – und die im Bundestag kämpfen die beiden Demokraten in lächerlichster Manier g e g e n einander, statt sich miteinander dem wahren Gegner in den Weg zu stellen. Das muss man nicht verstehen.
Genauso wenig wie die Rhetorik der irgendwie in Vergessenheit geratenen Europa-Abgeordneten Katharina Barley. In der Zeitung stand zu lesen, Frau Barley habe die Europa-Wahl zum Auftakt ihres Wahlkampfes zur – Achtung, Zitat: Richtungswahl – erklärt! Richtungswahl! Na, das ist ja mal eine rhetorische Faust mit Wumms. Uiuiui. Mit dieser inhaltsleeren politischen Kampf-Floskel aus den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wird den Häuptlingen der AfD sicher angst und bange.
Den nächsten rhetorischen Faustkampf mit dem Schlag ins die Leere heißer Luft liefert Mario Vogt, der Spitzenkandidat der Thüringer CDU. Auf die Frage im ZDF, wie er denn der AfD und ihrem Herrn Höcke Paroli bieten wolle, antwortet er, seine CDU sei ein demokratisches Bollwerk. Das ist ganz bestimmt genau das, was die Menschen wollen und wählen! Ein Bollwerk! Mit egozentrierter und verwelkter Metaphern-Rhetorik wird man die AfD nicht stellen können.
Also, fürs Lehrbuch: Politische Rhetorik bewirkt Zuschreibung. Nimmt aber niemals Zuschreibung vorweg. Merke, Mario: Ein Volkshochschulkurs in politischer Rhetorik wäre schon empfehlenswert, wenn man auf dem 20-Prozent-Gaul und mit der Demokratie in der Satteltasche ins Duell mit Herrn Höcke reitet – immerhin einem der gefährlichsten Demagogen des Landes.

Man bleibt als Bürger zurück, wundert sich und sucht Trost. Doch irgendwie klingt nur traurig das verregnete „Wir kommen da durch“ aus der Neujahrsansprache von Olaf Scholz im Ohr. Wir kommen da durch! Was für ein asphaltgrauer Satz. Was für ein Unterschreiten des rhetorischen Mindestanspruchs an die eigene politische Führung. 

Hören wir stattdessen doch da mal kurz in die Neujahrsansprache von Monsieur Macron. Die lautet in etwa so: „Dieses Jahr wird ein ganz besonderes Jahr in der großen Geschichte unserer Grande Nation. Wir haben in diesem Jahr die Welt zu Gast. Wir alle miteinander sind die Gastgeber der Olympischen Spiele!“ Es ist nicht so, dass „Manu“ persönlich oder sein Frankreich im Allgemeinen keine großen politischen Probleme hätten. Aber so sonnig kann man ein neues Jahr beginnen. Und Gemeinsinn stiften. Wenn man, nur mal angenommen, in diesem Jahr zum Beispiel der Gastgeber einer Fußball-Europameisterschaft wäre.

Rhetorischer Kleinmut made in Germany. Vielleicht haben wir mit dem Tod von Wolfgang Schäuble auch den Abschied der prägenden humanistischen Rhetorik aus dem Bundestag zu bedauern. Eine kleine Flamme, die noch einmal aufflackert, als President Macron auf der Trauerfeier für Schäuble seine bewegende Europa-Rede auf Deutsch vorträgt. Und wenige Tage später, als Marcel Reif an gleicher Stelle die Geschichte seines jüdischen Vaters erzählt. Und kaum jemand die Tränen zurückhalten kann. „Sei ein Mensch“ – das Erbe von Vater Reif wird ganz sicher in den Büchern mit den großen Parlamentsreden landen. Es braucht also importierte französische Präsidenten und emeritierte Sportreporter, damit wir wieder hinhören und zuhören, was im Parlament parliert wird.
Die Menschen mögen Pathos. Ich behaupte sogar: Die Demokratie braucht Pathos! Das Antidot gegen die Feinde der Demokratie ist und bleibt die Macht des gesprochenen Wortes. Aber kam jemand in Berlin scheint es zu vermögen, sich ihrer zu bedienen. Ein trauriges rhetorisches Versagen der wichtigsten Organe unserer Demokratie.
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