20.11.2023

Reschs Rhetorik Review – aus Politik & Kommunikation

Markus Resch schreibt regelmässig Rhetroik-Analysen für das Magazin Politik & Kommunikation. Hier seine Rubrik aus dem Dezember 2023:

Mehr „Ich will da rein!“ bitte!
Aus Fehlern wird man klug. Sagt man. Stimmt aber nicht. Zumindest nicht aus Fehlern der anderen. Sonst hätte Nancy Faeser wohl niemals gesagt, dass sie in Berlin bleiben wolle, wenn es mit dem Ministerpräsident*innen*amt in Hessen nichts würde. Dieses kurze Statement in einem Interview, irgendwann vor der Hessenwahl, hat sie am Ende viele Stimmen und vielleicht sogar das Amt gekostet. Aber vielleicht wollte sie ja wirklich nichts ins Hotel Rose, die Staatskanzlei in Wiesbaden.
Denn das weiß doch jedes Kind: Ein mutloses rhetorisches „Vielleicht!“ goutieren die Wähler nun mal nicht, wenn sie mit ihrem Kreuzchen entscheiden, wer da reindarf, in das Schlaraffenland der Macht. Deutlicher als mit einem „Vielleicht“ konnte Nancy Faeser den Hessen nicht dokumentieren, dass es ihr in erster Linie nicht um die Menschen in ihrer Heimat und deren Vertrauen geht, sondern dass sie sich vor allem selbst die Nächste ist. Die wegen einer vermaledeiten Landtagswahl doch nicht ihr innenministeriales Pöstchen in Berlin gefährdet.
Der Wähler merkts. Ist verstimmt. Und macht sein Kreuz dann eben woanders. Bei Boris Rhein. Der jetzt auch nicht der rhetorische China-Kracher ist. Noch schlimmer: Sich in keiner Sekunde des Wahlkampfes rhetorisch irgendwelche Mühe gegeben hat. Aber dank Nancys rhetorischem Eigentor war der Drops halt gelutscht. Und der Rhein kam halt rein. 
Mensch Nancy! Das hat noch nie funktioniert. Nicht bei Norbert Röttgen in NRW und auch nicht anno dunnemals bei Klaus Töpfer im Saarland. Warum? Weil diese egozentrierte Rhetorik halt nicht ankommt. Die Wählenden wollen ein klares und deutliches „all in“. Sie wollen ein kämpferisch vorgetragenes „Ich will da rein!“ Und ich finde: Da haben sie recht.
Der Urheber des wunderbaren „Ich will da rein“ ist inzwischen zwar eine politische Persona non grata. Aber hier sollten wir ganz wissenschaftlich mal Urheber vom Werk trennen. Nichts anderes zählt. Denn lerne: Wer die eigene Person in die Waagschale wirft, reift rhetorisch zur Persönlichkeit. Und wer das nicht tut, schrumpft unter Muttis Fuchtel auf Norbert-Röttgen-Normalgröße. Und die politische Karriere endet als Sonntagabend-Experte bei Anne Will. 
Dass Nancy Faeser dieses Schicksal am Wahlabend dämmerte, machte sie – vielleicht unbewusst – dadurch deutlich, dass sie bereits kurz nach 18 Uhr auf allen Sendern ungefragt die Rückendeckung ihrer Person aus Berlin betonte. Noch bevor sie sich mit den üblichen Floskeln bei Wählenden und Wahlkämpfenden bedankte. Vor allem aber: bevor in Berlin jemand was anderes behaupten und ihr das Amt streitig machen konnte. Nancy Faesers Wahlkampf war bis zur letzten Sekunde eines klares und deutliches „Ich will zurück“. Dann kann es ja nichts werden.
Denn mit Worten schafft man Wirklichkeit. Mit Worten reift man zum Leader. Mit Worten gewinnt man Wahlen. Nun werden sich manche fragen, wie der Olaf, der große Schweiger, dann zum Kanzler werden konnte. Dieser rhetorische Rückblick sei an dieser Stelle erlaubt. Wir erinnern uns: damals war Corona. Der Wahlkampf fand nicht auf den Marktplätzen statt. Sondern in den Studios. Die zudem nur spärlich mit Zuschauern bestückt waren. Corona eben. 
Ein nahezu menschenleerer Raum, in dem Olaf Scholz den Wahlkampf-Scholzomaten geben konnte. Mir den immergleichen Parolen von Respekt, Gemeinschaft und Mindestlohn. Wenn Kameras den Menschen ersetzen, dann muss es auch nicht menscheln. Vorteil Scholz. Wäre der Wahlkampf auf den Marktplätzen entschieden worden – meine Wette steht – hätte der rheinische Katholik Armin Laschet sein vermaledeites Lächeln zum falschen Moment vergessen lassen können. Weil die Menschen im persönlichen Kontakt festgestellt hätten: So isser halt!
Über diesen kleinen Umweg kommen wir zur rhetorischen Führungslücke, die Olaf Scholz bis heute lässt. Und die ihm seltsamerweise auch kein Opositionspolitiker entreißt und mit einem klaren Bekenntnis zum „Ich will da rein“ füllt. Friedrich Merz schwadroniert sich ziellos und ungelenk wie ein Klapperstroch durch die Medien. Hier mal eine Position. Da mal eine Provokation. Und dann wieder ein paar Wochen mit dem privaten Jet ab ins unauffindbare Nirgendwo. So kann das mit dem Machtanspruch nichts werden. Carsten Linnemanns kramphaft zutage getragenen Dauerfalten auf der jugendlichen Stirn lassen uns eher um ihn sorgen als ums Land. Und dann wars das rhetorisch mit der Opposition. 
Bis Sarah Wagenknecht die Bühne betritt. Und so spricht, wie sie es möglicherweise von Gregor Gysi gelernt hat, dieser Wiedergeburt des rhetorischen Cato. Die beiden sprechen, wie die Menschen eben sprechen. Klar. Kurz. Verständlich. Auf den Punkt. Und: Mit einer immer deutlichen persönlichen Einschätzung und Überzeugung. Mit einer klaren Beurteilungskompetenz. Sowas mögen die Menschen eben spätestens seit dem ewigen „Carthaginem esse delendam“.
Die Positionen der Wagenknecht mag man teilen oder nicht. Aber anerkennen muss man, das sie a) einen klaren Plan hat, diesen b) präzise und verlässlich formuliert und c) damit verstanden wird. Glaubt man den Umfragen, wird das von den Wählerinnen und Wählern als klares „Ich will da rein“ verstanden. 
Kleine Nachhilfe für die Linnemänner: Das ist keine Raketenwissenschaft. Aber man muss halt auch a) einen klaren Plan haben, b) präzise und verlässlich formulieren und c) dann verstanden werden. Eine raunende Stimme mit den zuverlässig falschen Betonungen innerhalb der Sätze macht hat noch kein „Ich will da rein“.
Womit wir bei Robert Habeck wären. Wie sagt man in seiner Heimat Schlewig-Holstein zu einem wie ihn, den man rund um Stuttgart „Cleverle“ nennen würde? Das ist er wohl. Warum? Da schweigt Olaf Scholz weiterhin stille, während die Welt die Bilder aus Israel und dem Gaza-Streifen nicht mehr erträgt. Genau dann greift Robert Habeck, der in ganz frühen Interviews mal sagte, egal wohin ihn die Karriere führe, zu einer Krawatte würde es nie kommen, zu ebendieser und zeichnet das Video auf, das am Ende weltweit in vielen Sprachen viele Millionen Mal gesehen wurde. Und für das er viel Applaus erhält. Zurecht. Das Statement funktioniert. Da steckt alles drin, was man im gursortierten Rhetorik-Fachhandel erwerben kann. Ethos, Logos, Pathos, vulgo Führung und Leadership. 
Und Robert Habeck folgt dem oben skizzierten Plan aus a), b) und c). Er bezieht Stellung. Eine klare Einordung. Seiner Gefühle, seiner Gedanken und unser aller Situation. Er gibt uns eine moralische Orientierung. Kurzum: Er führt. Mit der Macht des gesprochenen Wortes. Wie früher – in der guten alten Zeit – mal Bundespräsidenten, Bundestagspräsidenten oder Bundeskanzler ihren Beruf verstanden, also mit Worten zu führen. In diesen Ämtern und Positionen herrscht zurzeit ja sowas wie ein rhetorischer Dauer-Lockdown. Ein anderes Thema. Vielleicht für die nächste Folge dieser Rubrik.
Nach dem Video von Habeck ist die Welt sich einig: So geht Kanzler! Keiner spricht mehr über irgendwelche wärmenden Pumpen und vermaledeite Gesetze dazu. Robert ist plötzlich der Kandidat. Wie immer im politischen Leben für ein paar Tage nur. Aber – das war ein Markstein. Ein „Ich will da rein“, das die Welt nicht überhören kann. Dieses Video wird ihn begleiten. Und wir werden sehen, wohin es ihn führt. 
Ja Mann, diese Rhetorik! Ein Schauspiel! Zetern die einen. Klarheit! Erwidern die anderen. Das ist der Ur-Streit seit den antiken Vätern der Redekunst. Und was sage ich dazu? Ganz klar: Das gesprochene Wort – ein Machtinstrument. Mit dem sich reinmanövriert – ins Amt. Oder raus – aus der Diskussion. So wie die Familienministerin Lisa Paus.
Wir erinnern uns an das verunglückte Interview im ZDF. In dem sie gefragt wird, ob ein Bekenntnis zu Israel Einbürgerungsvoraussetzung werden soll. Und sie keine Antwort weiß. Schlimm genug. Als dann aber noch vor laufender Kamera der Pressesprecher zur Hilfe eilt. Eieiei… da fällt einem dann wirklich nichts mehr ein. 
Wer aufs Eis geht, sollte Schlittschuhfahren können. Sagt so der Volksmund? Und wer in die Politik geht, der sollte „da rein“ wollen. Und dazu gehört im ersten Kurs „Abgeordnete für Anfänger“ doch bitteschön die Kunst des Interviews. Wo man lernt, wie man sein ganz persönliches „Ich will da rein“ auf den Punkt bringt. Auch wenn es mal eng wird. Ceterum Censeo: Der rettende Einwurf des Pressesprechers vor laufender Kamera war da allerdings noch nie das Mittel der Wahl. Quod erst demonstrandum. 
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