05.10.2017

Gute Rede. Schlechte Performance.

Der Bundespräsident am Tag der Deutschen Einheit

Jetzt ist die Rede des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit schon fast eine Woche her. Und: Haben Sie was bemerkt? Die Presse fand die Rede des Bundespräsidenten zum Tag der Deutschen Einheit ziemlich gelungen.

Aber: In der Bevölkerung hat kaum jemand darüber gesprochen. Oder können Sie sich einen positiven Sturm in den sozialen Medien erinnern ob der großartigen Rede des Bundespräsidenten? Warum also sind die Journalisten so angetan? Und die Bürger weniger? Meine Antwort: Das liegt auch an der rhetorischen Performance des Bundespräsidenten.

Und diese Performance ist den Journalisten ziemlich egal. Denn sie haben die Rede in der Hand. Als Manuskript. Ausgedruckt und zusammengetackert. Damit sie schon mal die passenden Zitate für ihre Berichterstattung heraussuchen können. Und diese geschriebene Rede, die auf dem Papier stand, die war richtig gut. Die hatte all das, was eine Rede braucht.

Merke: Sie hatte die drei großen ‚S’. Die war in einfachen S-ätzen formuliert. Sie hatte an den richtigen Stellen S-oundbytes, also kurze prägnante Botschaften, die in die 20 Sekunden einer Medienberichterstattung in Radio und Fernsehen passen. Und sie hatte – das dritte S – Storyclouds. Persönliche Geschichten und Begegnungen, die den Bundespräsidenten als ein Mann des Volkes positionieren sollen.

Also, das was da auf dem Papier stand, das war richtig gut. Das war sogar präsidial. Das hätte man auch ziemlich mitreißend vortragen können. So, dass auch die Bürger über diese Rede sprechen.
Allein, das ist dem Bundespräsidenten nicht gelungen. Dabei hätte es sein großer Tag werden können.

Lange hatte man ihn vermisst. Wer ist eigentlich gerade Bundespräsident? Wie heißt er? Was macht er die ganze Zeit? Und was hat er uns zu sagen? In Zeiten wie diesen! Das waren in den vergangenen Wochen so Fragen… Es ist also seine Chance – am Tag der Deutschen Einheit mit seiner Rede einen Markstein zu setzen.

Einschub – damit das klar ist: Der Bundespräsident hat Mutiges, Erhellendes, Entscheidendes und Richtiges gesagt – zur Demokratie, zu den Flüchtlingen, zur AfD, zu vielen Themen, die uns gerade bewegen. Und dennoch ist die Rede in der Öffentlichkeit verpufft. Wer könnte noch einen Satz aus dieser wichtigen Rede zitieren? Eine Woche später? Sehen Sie!

Und das hat mit der Performance des Redners zu tun. Es steht mir nicht zu, den Bundespräsidenten zu kritisieren. Aber wir alle, die wir in der medialen Öffentlichkeit reden müssen, können von ihm lernen.

Der Bundespräsident hätte fiese fünf Dinge besser anders gemacht.

Erstens: Die Körperhaltung! Kaum steht der Präsident am Rednerpult, nimmt er die klassische Körperhaltung eines Hinterbänklers aus einem Landesparlament ein, der kurz vor 23:00 Uhr auch noch mal zu Wort kommt. Steinmeier verlagert das Gewicht auf ein Bein, hält sich am Rednerpult fest, beugt den Oberkörper bisweilen über das Pult, den Blick oft gesenkt auf das Papier. Das ist nicht der Habitus eines großen Redners. Das ist müder Parlamentarierhabitus. Das wäre Weizsäcker nicht passiert!

Zweitens: Die Körpersprache. Bisweilen ruht das Gewicht des Oberkörpers auf den aufgestützten Unterarmen. Der ganze gestützte Körper wirkt versteinert. Wo doch eigentlich Bewegung und Leidenschaft sein müssten. Irgendwie hat man das Gefühl, der Bundespräsident müsste die Last dieses so lange erwarteten ersten Auftritts irgendwo ablegen. Auf dem Rednerpult. Damit kann man keinen Zuhörer begeistern. Clinton macht sowas anders!

Drittens: Die Hände. Ich kann mich kaum an drei Augenblicke erinnern, in denen die Hände irgendetwas getan haben. Sie halten wie Klammern das Pult fest. Aber: Wie soll der Redner sonst Aktivität ausstrahlen, zur Bewegung rufen, motivierend mahnen, Akzente setzen, Pausen betonen und Ausrufezeichen malen als mit der Gestik! Die Gestik des Bundespräsidenten ist hier – nicht wahrnehmbar. Ein präsidialer Monolith. Obama weiß, wie das geht!

Viertens: Die Sprachmelodie. Erinnern wir uns: Wer etwas Spannendes zu erzählen hat, seinen Kindern zum Beispiel eine Gute-Nacht-Geschichte, der weiß, wie wichtig der Rhythmus ist. Hier eine Pause. Dort ein lang gezogener Satz. Hier eine galoppierende Sequenz. Und dort eine Kunstpause. So erzählt man Geschichten! Wenn es spannend wird, spricht man leise. Wenn es dramatisch ist, wird man laut. Das sind diese Gute-Nacht-Geschichten, bei denen keiner schläft. Böse formuliert: Beim Bundespräsidenten schläft sich’s besser. Seine Sprachmelodie ist ein einziger gejagter Singsang, jedes zweite Wort hängt melodisch irgendwo oben, wo die Stimme hell und schrill wird. Und nicht dort, wo gute Redner ihre Punkte machen, nämlich unten.

Das alles kostet deutlich Wirkungskompetenz! Das passiert, wenn man einen Text abliest. Wenn man nicht kongruent mit ihm wird, wenn man ihn nicht lebt. Wenn man ihn referiert, anstatt zu reden. Erinnern Sie sich: Bei Gauck hörte sich jede Rede wie eine spannende Geschichte an!

Fünftens: Das Ablesen. Der Redenschreiber hat seine Arbeit wirklich herausragend gemacht. Er baut so genannte Story-Clouds in die Rede ein. Also kleine Geschichten, persönliche Erlebnisse, die zeigen sollen: Ich bin nah dran. Ich war in Stuttgart. Und in Bochum. Ich habe mit den Menschen gesprochen. Das Problem: Selbst diese Geschichten liest der Bundespräsident vom Papier ab. Er schaut aufs Papier, wenn er uns erzählt, was er in Stuttgart im Dialog mit den Bürger erlebt hat.

In eine gute Rede gehört dieser Abschnitt nicht ausformuliert. Da gehört das Stichwort Stuttgart hin. Das liest man als Redner. Dann schaut man ins Publikum. Und erzählt seine Geschichte aus Stuttgart. So geht das. So haben Schröder und Fischer das in ihren besten Reden getan!
Dann wird eine Rede berührend, bewegend und nah.

Nur wenn man diese fünf Punkte beachtet, es anders macht als der Bundespräsident, dann lebt die Rede, dann findet sie Widerhall. Nur dann kann ein Redner mit seinen Worte wirklich bewegen. Und das können wir lernen vom Bundespräsidenten und seiner Rede zum Tag der Deutschen Einheit.

Disclaimer: Dieser Text ist in keiner Weise als Kritik an den Inhalten der Rede zu verstehen. Er ist eine professionelle Analyse der Wirkungskompetenz des Redners. Und es sind bestenfalls sehr deutliche und praxisnahe Lehren für jeden von uns, der demnächst auf einer Bühne steht.

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