23.04.2018

Quod licet Julian, non licet Martin

Soll man der Presse noch CEO-Portraits ermöglichen?

„Sollen wir das machen?“ Die Frage wird mir häufig gestellt. Sollen wir einem Journalisten die Gelegenheit geben, unseren CEO ein paar Tage zu begleiten?

Seit dem Spiegel-Portrait von Markus Feldenkirchen über Martin Schulz hat sich die Frage geändert. Sie lautet nun: „Sollen wir das machen – eher nicht, oder?“ Man möchte seinem Chef das Schulz-Desaster mit journalistisch-mikrochirurgischen Einblicken in die abgrundtiefe Authentizität des Chefs ersparen. Und daher: Keine Portraits mehr? Ich sage: Das wäre ein fataler Fehler!

Klar ist: Martin Schulz’ Image wird sich von diesem Röntgenblick in seine Befindlichkeiten nicht mehr erholen. So manche Beschreibung aus nächtlichen Hotelzimmern hat sich im kollektiven Bewusstsein eingebrannt. Bilder, die man nicht mehr aus dem Kopf bekommt.

Und jetzt hat wieder einer „Ja“ gesagt. Julian Reichelt, der BILD-Chef. Der offenbar mit zwei Chauffeuren durch Berlin fährt. Und die Zusage für die Spiegel-Story in wenigen Worten per SMS sendet.

Der BILD-Chef Julian Reichelt hat dem Spiegel die Möglichkeit gegeben, naja, nicht ihm wirklich zu folgen, sondern in im Rahmen eines Wo-Bin-Ich-Scrabbles hier und da mal zu treffen. Zuverlässig und pünktlich ist er eher nicht. Besonders einnehmend und zugewandt offenbar auch nicht, der Herr Reichelt.

Die Beschreibungen des Spiegel sind so detailliert und mit größtem Fokus auf jede vermeintliche Unreinheit seines Wesens, dass der Text in seiner Schonungslosigkeit dem Text über Schultz in Nichts nachsteht.

Bloß: Der Text demontiert Reichel nicht. Warum? Darum: Es geht letztlich geht immer um Heldengeschichten. Hand aufs Herz: Die wollen wir lesen! Daher wird der Text Julian Reichelt keinen Deut schaden. Anders als Schulz.

Denn Politiker werden mit anderen Geschichten und bei einer anderen Zielgruppe zum Helden als ein BILD-Chefredakteur. Ein Politiker hat bitteschön Fassade zu sein. So schreibt es der BDI-Kommunikator Holger Lösch auch gerade wieder im Pressesprecher, von der Politik würde eine makellose Fassade erwartet. Recht hat er! Und so haben es die Parteien seit den ersten Wahlkämpfen an die Bäume unserer Alleen geheftet. Mit porentiefer Reinheit und gephotoshoppptem Lächeln.

Das haben die Parteien selbst so gewollt. Und über Jahrzehnte so etabliert. Das wollen die Wähler nun. Und keine perspektivlosen Currywürste gegen den enttäuschten Hunger in späten Hotelzimmern. Dieses um 180 Grad gewendete Narrativ kam etwas plötzlich über die mediale Öffentlichkeit. Mit den bekannten Folgen.

Ein Bild-Chef ist da per se ein anderes Kaliber. Ein anderer Held. Eine andere Geschichte. Einen Rilke-lesenden Tee-Trinker mit Samthandschuhen erwartet hier keiner. Und die Beschreibungen des Spiegel über Reichelt sind wirklich nicht nett. Sie schildern einen Egomanen, der alles seinem Machtgewinn und der Provokation unterordnet. Alles andere als Photoshop.

Aber: Es ist dennoch eine Heldengeschichte. Weil die Geschichte eines jungen Chefredakteurs bei BILD eine andere Story ist als die eines Bundeskanzlerkandidaten. Ein Chefredakteur der BILD darf so ein ‚Vogel‘ sein. Er muss es sogar. Sonst würde man ihn ja nicht hassen können, wenn man will. Das ist letztlich die kollektiven Rollenerwartung an einen BILD-Chef.

Und das wird – wie auch schon lange vor Schulz – und lange nach Reichelt – meine Antwort auf die Frage sein: Sollen wir, oder sollen wir nicht? Ja! Warum denn nicht!

Denn: Wenn wir wollen, dass die Menschen auch etwas über die Persönlichkeit unseres CEO erfahren und uns nicht nur an Zahlen messen, dann sollten wir mal darüber sprechen, auch einem Journalisten mal ein paar Tage Einblick in Leben und Denken zu geben. Darin steckt erstmal eine Chance.

Zweitens: Dann geht die Suche nach der Heldengeschichte los. Welche Heldengeschichte trägt unser CEO in sich? Und wollen wir die erzählen?

Das Storytelling hat man als Unternehmen ja im Griff. So sollte sich Christian Sewing von der Deutschen Bank mal rasch davon verabschieden, immer von Westfalen und seinen Tennisfreunden dort zu erzählen. Das klingt langsam schon nach Würselen. Die Bank braucht jetzt einen Macher von Welt.

Und wenn dann – drittens – der CEO seine Story selbst sieht, erkennt und lebt – dann steht einer Begleitung nichts mehr Weg. Das Ergebnis ist der Eindruck von Nähe. Ein unbezahlbarer Vorteil, wenn es um Image und Glaubwürdigkeit geht.

Und noch zwei persönliche Tipps: In Anwesenheit der Journalisten vielleicht nicht unverblümt auf Co-Vorstände schimpfen wie Schulz dereinst auf die Genossen. Und vielleicht nen Tick pünktlicher und verbindlicher sein als Reichelt. Aber dafür braucht es nur ein Quäntchen Rückbesinnung auf Erziehung und Verstand.

Es wäre eine vertane Chance, nach Schulz und Reichelt solche Anfragen nach CEO-Begleitung durch Journalisten grundsätzlich abzusagen. In jeder dieser Anfragen steckt eine Chance. Und dann bleibt nur die individuelle Feinjustierung des Helden. Denn: Quod licet Julian, non licet Martin!

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